Rückblicke V

Das achte, und letzte Schuljahr war angefüllt mit Wiederholungen und langweiligem Abschreiben von der Tafel. Nur im Rechnen und Raumlehre brachte uns unser alter Lehrer Heckmann noch eine Menge bei. Aber auch, wenn ich etwa heute meine Erdkundekenntnisse mit den Geographiekenntnissen mancher Absolventen einer weiteführenden Schule vergleiche, bin ich überrascht, was alles in den 8 Jahren Volksschule hängengeblieben ist!
Nach all der Leichtigkeit oder besser gesagt „das auf die leichte Schulter nehmen“ meiner Schulzeit, wurde es dann irgendwann doch Ernst. Ein Mann vom Arbeitsamt kam in die Schule, stellte ein paar Fragen und machte ein wichtiges Gesicht. Später hörte ich, dass das die „Berufsberatung“ war. Aber welche Berufe kannte ich denn schon? Im Unterricht, und in den Lesebüchern gab es Maurer, Anstreicher, Schreiner, Bauern, Bäcker, Schneider, Metzger, Kaufleute, Anwälte oder Ärtzte. Letztere konnte mann nicht werden da unser Vater ja kein Arzt oder Anwalt war! Mein Vater war Werkmeister in einer Seidenweberei und das war ja schon etwas besonderes. Auch gab es den Beruf des Elektrikers und des Radiomechanikers, also etwas, was mein Ineresse oder wenigstens meine Neugierde erregt hätte, aber da war ja in Kupferdreh keine Lehrstelle zu bekommen und daher schied diese Möglichkeit aus, irgendwie meinen Neigungen näher zukommen
Eines Tages erhielten meine Eltern ein Schreiben vom Arbeitsamt, indem sie aufgefordert wurden, mich beim Malermeister Oskar Kaiser als Lehrling vorzustellen. Als Begründung wurde aufgeführt ich hätte eine EINS im Malen und Zeichnen. Dreizehn Jahre war ich alt, als mein Vater den Lehrvertrag für mich unterschrieb und ich hatte keine Möglichkeit etwas dagegen zu tun.

Am 1.April 1956 ( ich war gerade 14 Jahre geworden) fing ich meine Lehre an. Maler und Anstreicher zu werden hieß für mich erst einmal Tapeten abkratzen,Tapeten abkratzen, Decken abkratzen, und wieder Decken abkratzen.
Die Decken jener Tage waren gewöhnlicherweise mit einfacher Leimfarbe gestrichen, lösten sich, wenn mann sie ordentlich nass machte auf, und und konnten mt einem Spachtel abgekratzt werden. Anschliessend wurde die Decke mit einer Deckenbürste und viel Wasser abgewaschen. Das war jedes mal eine Riesensauerei, aber wir versuchten, durch abdecken des Bodens mit Zeitungspapier den größten Dreck aufzufangen. Dass wir selbst schmutzig wurden ließ sich leider nicht verhindern. Dann konnte, wenn alles gut ging, und die Decke trocken war, neu gestrichen werden. Selten ging alles gut!
Oft waren mehrere Lagen unterschiedlicher Farben auf dem Putz, der zumeist uneben oder bröselig war. Vielfach hatte man auch noch „Spalierdecken“ also mit Lehm beworfene Holzleisten die mit dünnem Putz bedeckt waren. Dann kam es vor, das Quadratmeter große Putz-Stücke von der Decke herunter fielen . Dann spielten wir erst einmal Maurer. Mit Sand, Kalk und natürlich jede Menge Gips wurden dann Decken bzw. Wände wieder geglättet bevor man weiterarbeiten konnte.
Oft wurde es spät, bevor ich müde und dreckig nach Hause kam. Es gab in der Firma noch kein Auto und so mussten Leitern Farbtöpfe und das gesamte Werkzeug auf einem kleinen Handkarren zur jeweiligen Arbeitsstätte befördert werden. Oft wurden die schweren Farbeimer kilometerweit zu Fuß getragen. Fünfunddreissig D-Mark war der Lohn für einen Monat, den ich zu Hause abliefern musste. Mit 1,50 DM Taschengeld musste ich dann auskommen. Irgendwie war meine Kindheit nun endgültig vorbei.

Herbert Sippel